Recht und Sprache gehen immer Hand in Hand
Die Übersetzung von juristischen Dokumenten bei der EU und was wir für die tägliche Arbeit daraus lernen können
Dass EU-Verträge in den 24 Amtssprachen der Europäischen Union abgefasst werden und in jeder Sprachversion gleichermaßen rechtsverbindlich sind, ist bekannt. Wenn man aber näher hinschaut, wird ziemlich schnell klar, dass nicht alle 24 Versionen gleichzeitig erstellt werden können und dass einige von diesen Versionen zwangsläufig Übersetzungen sind – auch wenn sie anchließend formal mit der Originalfassung gleichgestellt werden.
Niemand liest Ihren Text so genau wie Ihr Übersetzer
In einer EU-Studie über Sprache und Übersetzen im internationalen Recht und EU-Recht (Study on language and translation in international law and EU law, kostenloser Download unter: http://bookshop.europa.eu/is-bin/INTERSHOP.enfinity/WFS/EU-Bookshop-Site/en_GB/-/EUR/ViewPublication-Start?PublicationKey=HC3012627) wird die Rolle der Übersetzer deutlich hervorgehoben. Auf Seite 50 heißt es:
"The translation phase is even more important because translators might reveal the inconsistencies of the original text which, as a consequence of their alerting, might be improved by agreement with the other contracting party. This kind of late intervention into the original treaty text makes one think about the possibility of involving translators and represent[ing] linguistic aspects already at the drafting phase of an [sic] international treaties, especially of those which are of a complex nature."
Laut dieser Studie sind Übersetzer also nicht nur als letzter Schritt in einem Verfahren anzusehen, sondern vielmehr als dynamischer Teil dieses Verfahrens.
Das Zusammenspiel von Recht und Sprache beim EuGH
Dies gilt natürlich nicht nur für EU-Verträge, sondern auch für andere Rechtstexte, die in mehreren Sprachen gültig sein oder Anwendung finden sollen. Im Rahmen der Chartered Institute of Linguists' Legal Translation Conference im Juli 2012 in London hat Eleanor Sharpston, britische Generalanwältin am EuGH, über Ihre Erfahrungen berichtet. Da sie selbst mehrere Sprachen spricht, nimmt sie die sprachlichen Konsequenzen ihrer Arbeit sehr ernst. So erzählte sie zum Beispiel, dass sie bei der Formulierung ihrer Schlussanträge auf Englisch ständig daran denkt, wie eine bestimmte Formulierung auf Französisch ausgedrückt werden könnte. Da die englischen und französischen Versionen meist als Ausgangstexte für Übersetzungen in andere Sprachen dienen würden, sei es ihr sehr wichtig, diese Versionen sehr deutlich zu formulieren. So schreibt sie ihre Texte im Nachhinein auch grundsätzlich um, wenn die Übersetzung unglücklich ist.
Welche Lektionen können wir für die tägliche Arbeit daraus lernen?
Durch den stets zunehmenden internationalen Geschäftsverkehr werden immer mehr Dokumente in verschiedenen Sprachen benötigt. Verträge werden notwendigerweise in die Sprachen der Vertragsparteien übersetzt, auch wenn es in der Regel so ist, dass eine Version des Vertrags maßgebend ist, und zwar meist diejenige Version, in der Sprache des Landes in dem der Vertrag geschlossen und in dem die Leistung erbracht wird. Hier ergibt es natürlich Sinn, die maßgebliche (deutsche) Version des Vertrags genau auszuformulieren und die Übersetzung am Ende zu Informationszwecken und auch Verhandlungszwecken (der nicht Deutsch sprechenden Vertragspartei) zu erstellen oder erstellen zu lassen.
Aber wie sieht es mit anderen Dokumenten wie, zum Beispiel, mit Due Diligence Berichten aus?
Heutzutage werden in Deutschland sehr oft Due Diligence Berichte für internationale Interessenten von deutschen Rechtsanwälten nur auf Englisch erstellt. Die einzelnen Teile werden je nach Sprachkenntnissen und Zeitfaktor entweder von den Rechtsanwälten gleich auf Englisch geschrieben oder aber auf Deutsch und später übersetzt. Am Ende werden dann alle Teile zusammengesetzt. Für die Konsistenz bezüglich der Terminologie ist es natürlich schwierig genug, wenn mehrere Anwälte an einem deutschen Bericht schreiben. Angesichts der Tatsache, dass jede Rechtsordnung eng mit der Sprache der Rechtsordnung verbunden ist und jede Übersetzung von Elementen dieser Rechtsordnung zwingend eine Umschreibung oder eine Erklärung dieser Rechtsordnung bedeutet – sehr oft gibt es keine 1:1-Übersetzungen – ist es nicht verwunderlich, dass die Terminologie schnell durcheinander geraten kann. Da die englische Sprache, zum Beispiel, in mehreren Ländern gesprochen und auch für mehrere Rechtsordnungen benutzt wird, kann sogar die anfangs leicht erscheinende englische Sprache Herausforderungen stellen. Man muss sich, zum Beispiel, für eine Rechtschreibung (meist US- oder UK-Englisch) und eine Terminologie (US- oder UK-Rechtsterminologie) entscheiden.
Fachanwalt für fachliche Expertise, Fachübersetzer für fachsprachliche Expertise
Diesen Problemen kann man effektiv entgegenwirken, wenn man sie von Anfang an berücksichtigt. Wie in dem oben erwähnten EU-Bericht vorgeschlagen, kann es u.U. sinnvoll sein, einen juristischen Übersetzer gleich von Anfang an hinzuzuziehen, weil juristische Übersetzer viel Erfahrung mit solchen sprachlichen Herausforderungen haben und eventuelle Probleme bereits von Anfang an identifizieren können. Wenn man allerdings den Bericht erst kurz vor Fristablauf zusammenstellt und erst dann merkt, dass Terminologie und Rechtschreibung nicht konsistent sind, bleibt u.U. nicht genügend Zeit, alles zu harmonisieren. Auf einmal macht dann Ihre gewissenhafte und sorgfältige Arbeit u.U. schnell einen deutlich weniger gewissenhaften und sorgfältigen Eindruck, was dementsprechend dazu führen kann, dass der Bericht dann vielleicht doch nicht so gut bei Ihrem Mandanten ankommt.
Wie könnten Sie Übersetzer besser in Ihre Arbeitsprozesse eingliedern? Für welche anderen Dokumenttypen oder Projekte könnte es sinnvoll sein, fachsprachliche Experten mit an Bord zu holen? Gibt es auch Gegenargumente?
Sie interessieren sich für eine Zusammenarbeit mit mir, haben im Moment keinen Übersetzungsbedarf? Dann lade ich Sie herzlich dazu ein, meinem Netzwerk auf Xing oder LinkedIn beizutreten. So finden Sie mich dann viel leichter, wenn der nächste Übersetzungsauftrag ansteht und die Zeit drängt.
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